Ich bin gerade damit beschäftigt, eine Schnittwunde zu reinigen, da höre ich den aufgeregten Ruf vom Eingang: "Schnell, ich brauche Hilfe! Eine Trage!"
Weiß der Teufel, was da wieder los ist. Ich entschuldige mich kurz bei meinem sowieso viel zu wehleidigen Patienten und laufe mit eiligen Schritten Richtung Pforte. Unser starker Hausmeister Joseph kommt gerade schon mit der Trage angerannt, als ich fast mit ihm zusammenstoße.
Er bleibt sofort stehen und gibt mir den Blick frei auf....
"Mr McHaggys!" enfährt es mir voller Entsetzen. Ich knie sofort neben dem Mann nieder und fühle den Puls an der Halsschlagader, mein Ohr kurz über seinem Mund. "Verdammt, er atmet kaum noch! Was steht er ihr hier rum? Los, die Trage her!"
Hektisch legen wir die Trage neben den Bewußtlosen. Ich greife die Füße, während Joseph dem Verletzten unter die Arme packt. "Auf mein Kommando, eins, zwei, drei!" Etwas unsanft landet McHaggys auf der Trage und wir bringen ihn sofort unter den neugierigen Blicken der anderen Patienten in den Notfallraum.
"Schneide ihm das Hemd auf!" weise ich die junge Hilfsschwester an. "Wir müssen sehen, woher das ganze Blut kommt."
Eilig lege ich mir einige Untersuchungsinstrumente zurecht. Als ich mich meinem Patienten wieder zuwende, trifft mich fast der Schlag: dutzende kleine und mittlere Schnittwunden übersäen seinen Oberkörper, als ob er sich in einen Haufen Glasscherben gewälzt hätte. Bei genauerem Hinsehen erblicke ich tatsächlich Scherben, die sich in sein Fleisch bohren. Aber das ist nicht das eigentliche Problem: der rechte Arm ist völlig verrenkt, die Schulter grün und blau, angeschwollen wie ein Ballon. Ich wage kaum, den Arm zu bewegen. Aber es muss sein. Ich muss fühlen ob und wo der Arm gebrochen ist.
"Herr, sei gnädig und lass den armen Kerl noch eine Weile bewußtlos bleiben!" schicke ich das Stoßgebet gen Himmel. Mit einem Nicken weise ich Joseph an, McHaggys festzuhalten, als ich den Arm so behutsam wie möglich anhebe. Erst taste ich die Armknochen ab und finde schon zwei glatte Brüche. Das schlimmste ist aber die Schulter; sie ist eindeutig gebrochen, aber durch die Schwellung kann ich nicht viel erfühlen. Es hilft nichts. Ohne groß nachzudenken, packe ich zu, reiße und zerre am Arm. Das Geräusch ist widerlich. Knochen, die wieder gewaltsam an ihre ursprüngliche Position geschoben werden. Das Knacken und Schaben. Fast wird mir übel. Ein heftiges Stöhnen entfährt sogar dem Bewußlosen. Mir läuft der Schweiß den Rücken herab; ich atme noch einmal tief durch, drücke mit einer Hand gegen McHaggys Schulter, mit der anderen ziehe ich am Arm. Ein Ruck, ein Krachen, ein Schrei; mir bleibt die Luft weg.
Und dann fällt Joseph wie ein Baum. Dabei hält er sich instinktiv noch an dem Laken fest, auf dem der Patient liegt. Joseph kippt, Haggys rutscht, ich werfe mich in Panik auf den Bewußtlosen und versuche einen Sturz zu verhindern. Mit zugekniffenen Augen bringe ich alle Kraft auf und höre wie Joseph auf dem Boden aufschlägt. McHaggys liegt unter mir, immer noch ohne Bewusstsein wie ich erleichtert feststelle, aber immerhin noch auf und nicht neben dem Behandlungstisch. Doch durch meine Rettungsaktion bluten seine unzähligen Schnittwunden jetzt noch heftiger als zuvor.
Als ich an mir hinuntersehe, erschaudere ich leicht... mein Kittel. Blutdurchtränkt.
"Annie, kümmer dich um Joseph. Kipp ihm kaltes Wasser ins Gesicht. Und dann bring mir schnell Morphium und Nähset."
Solange McHaggys noch bewusstlos ist, nutze ich die Gelegenheit und beginne seinen Arm in eine stabile Lage zu bringen und zu fixieren. Danach beginne ich, die Schnittverletzungen zu säubern und zu versorgen.
Als wir es endlich geschafft haben, den armen Kerl einigermaßen zusammen zu flicken und in ein Krankenzimmer zu verlegen, lasse ich mich erschöpft in einen Besuchersessel fallen. Immer noch trage ich den blutverschmierten Kittel, was mir aber erst klar wird, als mich ein kleiner Junge und dessen Mutter, die mir gegenüber sitzen, völlig entsetzt anstarren. Sie halten mich wahrscheinlich für die Frau des Metzgers, denke ich stirnrunzelnd.
Aber was ist nur mit McHaggys passiert? Das sah nicht nach einem der üblichen Straßenkämpfe aus. Wenn er wieder aufwacht, werde ich ihn befragen.