Zum gefühlt tausendsten Mal liest Gidorich, in Gedanken versunken, die Nachricht von Mr. Shhh.
Mitarbeit? In den Straßen von Chicago?! Arbeiten für Shhh?! Den blauen Namenszug auf dem Revers tragen?!
Ausdruckslos blickt er auf die wogenden Fluten.
Gidorich weiß genau, was einige Gangster hier von der Stadtverwaltung halten! Würde er das überleben?!
Doch auf der anderen Seite… Vielleicht, nur vielleicht… Schließlich ist er praktisch auch einer von ihnen… Und für Farinelli… Wieder erscheint das ausgelaugte Gesicht dieses mächtigen Kriegers vor seinen Augen.
Was wäre die Alternative? Flucht, für immer?! Nein, das würde Farinelli niemals überleben…
Krieg?! Nein, ein Krieg gegen die Regierung ist genauso töricht wie aussichtslos! Und die Nibelangen habe so schon genügend Fronten an denen sie Kämpfen müssen!
Eventuell macht es ja sogar Spaß… Leicht schief lächelt er sein wässriges Spiegelbild an.
„Unterhändler zwischen den Gangstern und Shhh persönlich…“, Klingt doch gut…
Aber es ist die Regierung!!! Kann er ihnen überhaupt trauen? Was, wenn sie Farinelli dann trotzdem fangen?!
Er würde eine Garantie fordern müssen…
Ach, wäre doch bloß Aduya da!!! Was würde sie ihm raten?!
Gidorich hatte den kurzfristig geplanten, gemeinsamen Urlaub abgebrochen, als die Kunde von Farinellis Flucht zu ihm gedrungen war. Hatte Aduya allein an den Niagarafällen zurückgelassen…
Kein Tag verging, an dem er diese Entscheidung nicht in Frage stellte… Aber sie verstand es!
Er ist Pate! Seine Gang geht immer vor!
Und so weiß er auch jetzt, was sie ihm raten würde…
Entschlossen steht er auf, steckt den Brief in seine Brusttasche und stapft zurück zum Hauptquartier.
Fragend schaut Hag auf, als Gidorich die Tür öffnet. „Und?“
„Ich mach ‘s.“, erwidert Gidorich entschlossen. “Kannst du mich zum Rathaus fahren?“
Ein kurzes Nicken, dann sitzen sie auch schon in McHaggys Höllengefährt.
Als der Wagen vor Mr. Shhhs Zentrale hält, atmet Gidorich noch einmal tief durch, ehe er mit einem entschlossenen Ruck die Beifahrertür aufschwingen lässt. Hags Hand hält ihn zurück.
„Egal was passiert Boss, wir stehen hinter Dir!“
„Danke Hag!“
Mit diesen Worten wendet er sich ab und schreitet mit großen Schritten auf das Zentrum der Macht zu.
Als Berni der Wachmann ihn erkennt, wird er kreidebleich. „Sie schon wieder…?“, stöhnt er leicht hysterisch, während seine Finger nach dem Alarmknopf tasten.
„Ganz ruhig!“, antwortet Gidorich, während er blitzschnell Bernis Hand festhält. „Wir brauchen keinen Alarm! Ich stehe jetzt wohl auf ihrer Seite…“
Verständnislos blickt Berni zu dem riesenhaften Bäcker hinauf.
„Ich… Ich verstehe nicht…?!“, stammelt er.
„Das brauchen sie auch nicht.“, tönt Gidorichs beruhigende Stimme. „Sagen dem Chef einfach, dass ich den Deal akzeptiere. Allerdings nur unter der Bedingung, dass Farinelli vollständige Amnestie erhält!“
Bernie blickt ihn noch immer unsicher an. Wieder suchen seine zittrigen Finger den Weg zum Alarm.
Wieder hält Gidorichs starke rechte Hand ihn bestimmt zurück.
„Wenn du nicht willst, dann mache ich halt schon mal deinen Job…“, mit diesen Worten wandert Gidorichs Linke zum Telefon. „Wähl den zuständigen an! Ich kümmere mich selber um den Rest!“
Zaghaft bewegen sich Bernis Finger über die Wählscheibe.
Es tutet zwei Mal, ehe sich eine gestresste Stimme meldet.
„Ja?“
„Mr. Gidorich ist da…“, antwortet Gidorich schmunzelnd und zwinkert Berni zu.
„Ah, Mr. Gidorich… Wir haben sie erwartet! Kommen sie doch hoch!“
Gidorich legt den Hörer auf die Gabel und schaut Bernie fragend an. Wortlos nickt dieser in Richtung des Aufzugs und deutet mit den Fingern eine 4 an.
Gidorich nickt dem Wachmann wohlwollend zu und schlendert zum Aufzug.
Als sich die Aufzugtür schließt, sieht er gerade noch, wie Berni, sichtlich erleichtert, einen Flachmann ansetzt und einen großen Schluck nimmt.
Schmunzelnd fährt Gidorich hoch.