Während der Fahrt zum Baile drehen sich meine Gedanken im Kreis. Mir war bewusst gewesen das Moros etwas gemerkt hatte, aber ich hatte wirklich gehofft er würde mich nicht darauf ansprechen.
Im Augenblick habe ich weder einen Blick für die Landschaft die an uns vorbeizieht, noch für das Licht der Sonne welches alles in einen goldenen Schimmer zu tauchen scheint, nch für meinen Beifahrer. Oder viel mehr versuche ich zwanghaft seine neugierigen Blicke in meine Richtung auszublenden.
Ich weiß was das Richtige wäre. Schließlich ist er mein Partner und alles andere als wehrlos, aber ich hatte mir immer geschworen niemals jemanden dort mit rein zu ziehen. Es war genau genommen allein meine Angelegenheit mit der Vergangenheit abzuschließen.
Andererseits ist mir klar das es passieren kann, dass ich es im Alleingang nicht schaffe. Das Moros vielleicht irgendwann die Nachricht erhalten würde, dass ich nicht mehr bin. Im umgekehrten Fall wüsste ich nicht wie ich das verkraften könnte. Allein der Gedanke das Moros irgendwann etwas passieren könnte lässt mir kurz unachtsam werden und der Wagen macht einen Schlenker.
Bevor der Wagen von der Straße abkommen kann, greift Moros kommentarlos das Lenkrad und bringt das Auto auf die rechte Spur zurück. Gerade nochmal gut gegangen und das mit seinem Baby.
"Entschuldige. Wird nicht wieder vorkommen.", presse ich angespannt hervor und registriere das leichte Nicken neben mir.
Nach einer halben Stunde parke ich den Wagen vor dem Baile und steige mit etwas wackligen Beinen aus. Moros geht vor und schließt den Pub auf, während mein Herzschlag sich langsam erhöht. Das ist nichts ungewöhnliches in seiner Gegenwart, aber normalerweise ist es mit anschließenden Zärtlichkeiten verbunden und nicht mit einer Unterredung bezüglich meiner Vergangenheit. Zusammen gehen wir nach oben in sein Zimmer und setzen uns zunächst schweigend auf die Couch. Erst als er sanft mit seiner Hand meine Wange berührt werde ich wieder etwas klarer und riskiere einen Blick in seine Augen.
"Kitsu ich weiß wie es ist wenn man etwas alleine durchziehen muss oder sogar will, aber du kannst nicht von mir verlangen tatenlos dabei zuzusehen wie du dich in Gefahr begibst. Ich lasse dich ja machen, aber möchte wissen worum es hier geht und wie ich dir helfen kann wenn es zum Äußersten kommt. Mehr nicht. Lass mich dir helfen.".
Bisher hat noch niemand etwas über meine Vergangenheit erfahren, nichtmal meine Gang. Einfach niemand. Nur Koyama wusste bescheid, weil er damals mit dem gleichen Schiff geflohen war wie ich.
Moros legt sich hin und öffnet einladend seine Arme. Eng an meinen Liebsten gekuschelt fange ich schließlich an zu erzählen von etwas, dass mein fast mein ganzes Leben beherrscht hatte.
Ich muss 4 Jahre alt gewesen sein als es passierte. Mein Vater war ein Farmer gewesen, oder zumindest dachten das die meisten anderen Leute. In Wahrheit trieben auch im eher beschaulichen Japan diverse Banden ihr Unwesen. Der Großteil von ihnen waren einfache Räuberbanden die vollkommen unorganisiert plünderten, aber es gab auch Ausnahmen. Intelligente Leute in hohen Positionen die darauf aus waren ihren Einfluss zu vergrößern und lukrative Geschäfte zu machen. So gesehen war es genau wie überall auf der Welt.
Mein Vater war Mitglied einer solchen Organisation gewesen, aber nie hatte er sich etwas anmerken lassen. Ob meine Mutter es gewusst hat weiß ich nicht, aber ich denke schon.
Wie ich später erfahren sollte ging es nicht nur um Korruption und Betrügereien, sondern auch um Mord, Drogen und vieles mehr. Mein Vater wollte irgendwann aussteigen, alles hinter sich lassen und das Geld was er versteckt hatte dazu nutzen um ich mit uns ein neues Leben aufzubauen. Aber sie hatten ihn natürlich nciht einfach gehen lassen wollen.
Ich kann mich heute noch daran erinnern als wäre es gestern gewesen.
Mitten in der Nacht sind sie gekommen. Viele Männer in dunkler Kleidung. Sie sind in unser Haus eingedrungen und hatten meine Eltern überwältigt. Mein Vater hatte sich gewehrt, aber gegen diese Überzahl hatte er nichts ausrichten können. Sie haben ihn gefoltert. Haben gelacht. Haben meine Mutter geschändet.
Haben mich die ganze Zeit zusehen lassen. Diese Bilder...die Schreie...
Für einen Moment muss ich meine Erzählung unterbrechen um mich neu zu sammeln um Moros drückt mich noch fester an dich, streichelt über meinen Rücken. Er sagt nichts, aber ich spüre seine Anspannung. Nach ein paar Minuten setze ich wieder an mit leicht gebrochener Stimme.
Danach haben sie sie getötet. Sie haben meinen Eltern die Kehle aufgeschnitten und sie liegen lassen wie Dreck. Aber mir haben sie nichts getan...im Gegenteil, sie hatten mich mitgenommen. Hatten sich um mich gekümmert, mich versorgt. So getan als sei das alles nicht passiert. Ich war noch so jung...wollte nur vergessen und habe angefangen auch so zu tun tun als sei alles in Ordnung.
Das haben sie ausgenutzt, genau das wollten sie. Über die Jahre hinweg haben sie mich manipuliert und ausgebildet. Haben mir mein Gewissen ausgeredet und mich nach und nach zu einer der ihren gemacht.
Mit 17 Jahren wurde ich offiziell als Auftragskillerin von ihnen eingesetzt.
"Ich hab es nicht besser gewusst Moros. Du glaubst nicht zu was diese Leute fähig sind. Nicht einmal während dieser Zeit habe ich an meine Eltern gedacht oder an das was mit ihnen passiert ist. Also ob sie alles aus meinem Gedächtnis gelöscht hätten.", in mir breitet sich eine innerliche Kälte aus und Moros legt noch eine Decke über uns, streichelt zärtlich über meinen Kopf.
"Und nach jedem Mord kam ein teil der Erinnerung wieder richtig ?", fragt er leise und ich nicke leicht.
"Ich hab es irgendwann nicht mehr ausgehalten und habe es irgendwie mit Hilfe einiger ähnlich Denkender geschafft zu fliehen. Die Meisten von ihnen sind bei dem Versuch gestorben. Es waren gute Freunde von mir darunter. Ich bin immer von einem Ort zum anderen geflohen und letztes Jahr bin ich hier gelandet. Ich wollte es hinter mir lassen."
Moros dreht meinen Kopf sanft zu sich und schaut mich fragend an.
"Sind sie hier ? Bist du hinter denen her die dafür verantwortlich sind ?", ich spüre dieses nur allzu bekannte Gefühl des Hasses in mir aufsteigen und antworte heiser.
"Ja. Angeblich sind einige von ihnen hier um ihren Einflussbereich zu vergrößern. Darunter soll auch mein Ausbilder sein und derjenige, der damals den Tod meiner Eltern angeordnet hat. Noch habe ich keine klaren Informationen aber wenn...", ich breche ab. Mehr ist auch nicht nötig zu sagen. Unbewusst fasse ich mir in den Nacken.
Ein Blick auf meinen Gefährten reicht um zu wissen, dass er an meiner Seite stehen wird. Dies ist nicht der Blick meines geliebten Moros, sondern der der ihm den Beinamen Todesengel eingebracht hat
Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »Lady Kitsune« (19. Oktober 2011, 19:41)