Aus den geheimen Aufzeichnungen eines Hausmeisters (2. Teil)
Heute früh hatte mich der Chef zum Mittagessen zu sich nach Hause eingeladen und ich dachte schon, der Tag fängt doch bestens an, konnte jedoch nicht ahnen, was da auf mich zukommen sollte.
Erst einmal wurde ich von unserem neuen Mechaniker abgeholt. Der Milchbubi trägt einen Oberlippenbart, um wohl männlicher zu erscheinen und quasselt ständig auf einen ein. Und dann die vielen Fragen. Ich bin ja auch noch nicht lange beim FBI, aber ich warte nur darauf, dass er mich irgendwann fragt, wo die Kinder eigentlich her kommen und ich schwanke noch und werde wohl erst im letzten Moment entscheiden, ob ich ihm nun die Geschichte von dem Storch oder jene von den Bienen erzählen werde.
Und wie alle Jungen will er, kaum dass er den Führerschein hat, auch stets beweisen, wie toll er Auto fahren kann. Er fuhr also mit einem Affenzahn vor, kam mit um Gnade bettelnde Bremsen zum Stehen und erwartete allen Ernstes ich würde auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Nicht mit mir. Ein Schlag auf den Hinterkopf verdeutliche ihm die Rangfolge, hielt ihn jedoch nicht davon ab, gleich wieder los zu brabbeln. Wie schön es doch sei, dass der Chef uns eingeladen hat, das wäre ja eine besondere Anerkennung für die harte Arbeit, denn er müsste ständig den Wagen waschen gehen, weil der Chef ja immer so viele Leichen zu transportieren hätte und er sei ja immerhin Automechaniker und kein Cleaner.
Irgendwann stockte er in seinem Redeschwall, vielleicht weil er mein schweres Atmen für die Bekundung selbst etwas sagen zu wollen hielt, starrte mich kurz an und schon begann Nislchens Fragestunde. Ob ich schon immer zum FBI gewollt hätte, ob es nicht toll wäre jetzt mit an der zukünftigen Weltherrschaft unserer Frau Präsidentin zu arbeiten, er könne ja schweigen wie ein Grab und würde nie jemandem etwas von Hoovers dunklen Plänen erzählen. Wie auch, dachte ich nur, Du weißt ja genau so viel darüber wie ich – eben nichts.
Ich konnte nicht ahnen, das eine nur 10 minütige Autofahrt einem so nicht endend wollend lang erscheinen kann, doch selbst als ich das Radio auf unerträgliche Lautstärke hochgeschraubt hatte, schaffte er es noch mit seiner durchdringenden schrägen Stimme bis an mein Gehör vorzudringen. Was ich denn von dieser modernen Musik hielte, ob Sie für einen FBI – Agenten nicht zu anzüglich sei und ob ich diesen neusten Tanz -diesen Charleston- schon einmal gesehen hätte. Im Nachhinein wundere ich mich noch immer, wie man so viele Fragen stellen kann, ohne auch nur eine einzige Antwort bekommen zu haben und dennoch unaufhörlich weiter neue Fragen zu stellen.
Als wir endlich angekommen waren, hielt er kurz meinen Arm fest, er sei so aufgeregt die Mutter vom Boss kennen zu lernen und er sei ja eigentlich so schüchtern und in der Nähe von Fremden bekäme er nie Zähne auseinander und ich wollte ihn schon darum bitten, mich künftig als einen völlig Fremden zu betrachten, als die Stimme des Chefs an mein Ohr drang. „Strombringer! Kommen Sie her! Ich habe doch keine Zeit! Und bringen Sie den Neuen gleich mit.“
Er stand wild gestikulierend auf der Veranda seines schönen Hauses. Ich kannte mal einen kleinen Franzosen namens Luis oder so ähnlich, den genauen Namen weiß ich leider nicht mehr, der auch dazu neigte seiner Aufregung körperlichen Ausdruck zu verleihen und dem man dann besser nicht in die Quere kam.
Ich hatte noch am Morgen eigens für diesen Anlass meinen zwar alten aber immer noch sehr kleidsamen Anzug aus der Mottenkiste geholt. Die Anzugsjacke spannte zwar etwas über die Bauchgegend, weshalb ich sie einfach offen stehen ließ und die Hose zwickte ein wenig beim Gehen, aber schon mein Vater hatte immer gesagt, ein richtiger Mann braucht eine gewisse sexuelle Schwungmasse. Nislchen hingegen war die typische in seinem Anzug verhungernde Bohnenstange und ich fragte mich, welche Frau an einem solchen Gerippe überhaupt Gefallen finden konnte.
Den Chef lässt man nicht warten und so gingen wir schnellen Schrittes bis zur Veranda hinauf. Er hatte sich an der Treppe aufgebaut und deutete mit beiden Armen um die Ecke des Hauses, wir sollten nach hinten und zur Küche gehen, dort würde uns seine Frau Mutter schon erwarten. Im ersten Augenblick fand ich es seltsam Gästen über die Hintertür Einlass zu gewähren, doch ich habe mir abgewöhnt Hoovers Absichten zu hinterfragen, er hätte sowieso seine Pläne nicht erklärt, sondern nur wieder mit diesem seltsamen Unterton nachgefragt, ob ich nun gewillt sei zu tun, was er mich geheißen hat.
Wie sehr sie sich freuen würde uns zu sehen, hatte uns die Frau Mama begrüßt, die Mitarbeiter des FBI kennenzulernen hätte sie schon immer gewollt und Ihr Sohn sei ja immer so viel beschäftigt mit all den dunklen Plänen die Weltherrschaft betreffend, dass er ja nie Zeit für sie habe, ob wir denn auch hungrig seien, sie hätte eigens für uns hier in der Küche gedeckt und man solle sich ja immer schön stärken, denn immerhin stünden ja noch anstrengende Aufgaben bevor.
Mein ach so schüchterner Begleiter hatte die Frau Mama wohl gleich ins Herz geschlossen, denn schon war er wieder in seinem Redeschwall gefangen, wie sehr er sich freue sie kennenzulernen, das sie mit Ihrem Sohn ein Beispiel für Disziplin und Akribie und einen wahren Führer aufgezogen hätte und wann immer sie unsere Hilfe benötigen würden, stünden wir Ihr zur Verfügung. Ich ahnte da schon, dass solche Worte schlimme Folgen haben können.
Selbst als wir aßen, redete Nislchen unaufhörlich weiter, dass seien die besten Spaghetti Bolognese, die er je gegessen hätte und während Mrs Hoover Küchenutensilien in den Schränken verstaute und Kittchen schon den zweiten Teller in Angriff nahm, blieb mir jeder Bissen unverdaulich im Halse stecken. Die hauptsächliche Eigenschaft der Sauce war ihre flüssige Konsistenz, worin ihr die Nudeln nur wenig nachstanden. Das Hackfleisch war nur sehr sehr kurz angebraten worden und hier und da hatten sich noch unaufgelöste Salzkörner angehaftet, was dem Gericht eine besondere Form von Schärfe verlieh. Ich hatte ja immer geglaubt, dass dem größten Dilettant ein solch einfaches Gericht nicht misslingen könne, doch der Name Hoover war schon immer ein Synonym für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten an sich.
Widerwillig wollte ich gerade den Teller wegschieben, als Madame Hoovers grelle Stimme an mein Ohr drang, ob mir das Essen denn nicht schmecke und ich weiß zwar nicht ob sie dieses Nudelholz wirklich nur zufällig in Händen hielt, aber diesen durchdringenden Blick kannte ich nur zu gut und ich bin mir nunmehr sicher, dass ein herrschsüchtiger Apfel nicht weit vom Stammbaum fällt. Nein, nein hatte ich beteuert, das Essen sei vorzüglich, aber ich hätte schon den ganzen Tag so viel Durst gehabt und ob ich denn nicht ein Glas Wasser haben könne.
Fortan nahm ich nach jedem Bissen unter scharfer Beobachtung einen tiefen Schluck aus dem Wasserglas, während Nislchen in dem Gericht gerade zu badete und ich mich wunderte, wo genau er in seinem schlaksigen Körper die ganzen Portionen eigentlich verstaute. Mir aber ging der Schweiß aus, mein Hemd war bereits völlig durchnässt und die Feuchtigkeit begann in zwei kreisrunden Angriffen auch meine hübsche Anzugsjacke zu erobern. Plötzlich stand der Chef im Raum. Er wäre froh dass wir endlich hier seien, wir sollten es uns schmecken lassen, jeden Augenblick aber würde unsere Frau Präsidentin eintreffen und ich war schon in freudiger Erwartung endlich unsere zukünftige Weltbeherrscherin persönlich kennenlernen zu dürfen, als er anfügte, dass er deshalb einen wichtigen Auftrag für uns hätte.
„Wir sind zu allem bereit! Setzen Sie uns ein!“, hatte Nislchen vorlaut verkündet und ich dachte schon wir müssten das Gebäude sichern, doch weit gefehlt. Wir sollten mit dem Hund sparzieren gehen, denn er hätte ja keine Zeit dazu, dass arme Tier müsse aber mal an die frische Luft und sein Geschäft verrichten.
Ob sie für ihn und die Präsidentin eindecken solle, hatte Madame Hoover gefragt. Die Präsidentin hätte bereits im Zug gespeist und er hätte keinen Appetite, da er zu sehr mit der Datenauswertung beschäftigt sei. Allmählich ahne ich, dass es nicht nur der Geiz ist, der Hoover dazu treibt, tagtäglich der Kantine unserer geliebten Fischfutterfabrik einen Besuch abzustatten und dabei etliche Schüsseln der köstlichen Fischsuppe „a la Lawndale“ und vom Eintopf „nach Holzwürmchen Art“ zu verschlingen.
Sie ginge nun ihr Hündchen holen, hatte Madame Hoover verkündet und unser Chef hatte hier hinterhergerufen, sie solle doch den Hund nicht immer verniedlichen am Ende bekäme sie noch Minderwertigkeitskomplexe und auch ein Hund müsse schließlich stets sein Revier verteidigen können. „Hündchen“ hatte ich gehört und an einen Yorkshire Terrier, Chihuahua oder irgendeine andere Art dieser kläffenden Teppichratten gedacht, denen man heutzutage überall begegnet und die so moderne und schöne Namen wie Dannyboy, LottydiePosse, Loosybinich oder Allyn trugen.
Wie der Hund denn hieße, hatte ich den Boss gefragt. Das hätte er doch bereits gesagt, hatte er verständnislos erwidert: „Hund!“. Es war mir ja schon immer bewusst, dass der Chef die Dinge gerne beim Namen nennt, aber einen Hund einfach Hund zu taufen, war selbst für seine Verhältnisse reichlich phantasielos. Nislchen prustete vor Lachen. Ich aber muss heute Nacht unbedingt diesen strafenden und stechenden Blick vom Chef vor dem Spiegel üben, denn er ist offensichtlich das Einzige, was Nislchen augenblicklich verstummen lässt.