Es ist bereits spät am Abend des 30.12.1921.
Morgen endet das alte Jahr und die halbe Welt wird sich in den Armen liegen, das Jahr 1922 begrüßen und die meisten guten Vorsätze bereits mit dem Feuerwerk kurz nach Mitternacht in den Himmel schießen.
Ich sitze noch an meinem Schreibtisch während meine Truppe ausgeflogen ist um Besorgungen für unsere Silvesterparty zu machen oder bereits ein bisschen vorzuschlafen. Wieder mal ist es der Papierkram der mich festhält, lange werde ich jedoch auch nicht mehr bleiben, der 12jährige Whisky auf meinem Tisch hat mich überzeugt dass die Listen und Ordner auch im nächsten Jahr noch da liegen werden, sie laufen nicht weg,
Eine seltsame Ruhe liegt, wie ein samtenes Tuch ausgebreitet, über den ehrwürdigen Räumen der Uni, nur der Regen prasselt von draußen an die hohen Fenster.
Das weiche Licht der Schreibtischlampe reicht bei weitem nicht aus um den dämmrigen Raum ausreichend zu erhellen, ich lehne mich zurück, atme den wohligen Geruch von edlem Holz und alten Büchern tief ein und entspanne…
1921 – was für ein Jahr!
Meine Blicke auf die gegenüberliegenden Regale verschwimmen langsam mit den Bildern in meinem Kopf, vor meinen Augen erscheinen Orte, Momente und Menschen aus der Vergangenheit, sie fesseln mich immer mehr und ich tauche schließlich ganz in das Erlebte ein.
Vor einem Jahr war meine Welt noch eine vollständig andere: erst seit kurzem im fremden und gefährlichen Chicago, auf mich allein gestellt und ohne zu wissen wie es am nächsten Tag weitergehen sollte, ein Greenhorn eben. Durch die Straßen streifend ergaunerte ich mir das Wenige, was ich zum Leben brauchte.
Bis der Tag kam, der mein Leben verändern sollte, der 14. Februar, Valentinstag 1921. Ich hatte zuvor einen Gangster getroffen der mir von seiner Gang erzählte, einer Gang, die mir angeblich ein zuhause bieten könne, ein festes Dach über dem Kopf, Unterstützung und Rückhalt, wie eine Familie. Ein anderes Gangangebot hatte ich zuvor bereits ausgeschlagen aber dieses hörte sich anders an, es klang einfach und gut. So wurde ich von der University of Chicago aufgenommen.
Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug, ich lernte Dinge von denen ich bislang keine Ahnung hatte, wertete meine Fähigkeiten auf und schloss Freundschaften mit großen und kleinen Gangstern. Alles schien sich zum Guten gewendet zu haben, es ging ständig bergauf.
Bis zu jenem Tag, an dem wir verraten wurden. Klammheimlich und ohne bemerkt zu werden hatte sich innerhalb der Uni eine Splittergruppe gebildet, hatten einige Gangster beschlossen noch eben einen Krieg anzuzetteln und die Uni dann zu verlassen um eine eigene Gang zu gründen. Der, der mich angeworben hatte und sich für mich verbürgt hatte, gehörte zu dieser Gruppe. Es war ein harter Schlag in die Magengrube seine letzten Worte in der Shoutbox zu lesen während er bereits mit den Anderen verschwunden war.
Doch die Uni geriet nicht aus den Fugen, die von den Verrätern gegründete Gang schien kurz aufzublühen, besteht heute jedoch nur noch aus 3 Gangstern und wird von niemandem mehr erwähnt.
Der Sommer brachte viele Veränderungen in der Stadt, Gangster kamen und Gangster gingen, Überfälle und Kriege beherrschten den Alltag aber Chicago war für mich zu einer Heimat geworden, Woodlawn wurde „mein“ Viertel. Ich konnte so lange etwas tun wie ich wollte, wurde es langweilig und verspürte ich den Drang nach Neuem konnte ich mich jederzeit weiterentwickeln, mir neue Waffen und Attribute zulegen um weiterhin Spaß am Gangsterleben zu haben. Wie lautete der Sommerhit noch gleich: „The summer of 21“ von Enrico „the Brian Adams one“ Caruso… Ich wurde vom einfachen Gangster zum Consiliere und Cashier, ich legte eine beachtliche Karriere hin, so machte Gangsterleben Spaß!
Erst im späten Herbst sollte eine weitere Veränderung die Uni erneut umkrempeln – der Gründer und bisherige Pate der Uni stellte sein Amt zur Verfügung, sein Nachfolger wurde durch offene Wahlen bestimmt und am Ende hatte ich das geschafft, was man in diesem kleinen, aufstrebenden Filmdorf an der Westküste wohl „vom Tellerwäscher zum Millionär“ nennen würde – ich wurde Pate.
Pate einer Gang in den Top 25 Chicagos. Anführer eines bunten und verdammt liebenswerten Haufens, jeden einzelnen meiner Gangster habe ich mittlerweile in mein Herz geschlossen.
Ich erwache kurz aus meinen Träumen weil mir die ganze Arbeit der letzten Wochen bewusst geworden ist. Ein Pate muss einiges leisten um seine Gang durch Chicago zu führen, ob es nun die Regelung von Bündnissen, Kontakt zu anderen Gangs oder das eigene Auftreten in Kriegen und Überfällen ist. Genüsslich schenke ich mir noch einen letzten Whisky ein bevor ich meine Männer, mit denen ich Seite an Seite stehe, vor meinem geistigen Auge an mir vorüberziehen lasse…
Wie froh ich sein kann sein dass auf alle Verlass ist, ohne sie wäre die Uni nicht das, was mir zur Heimat geworden ist. Ob nun papa, der mir als Capo den Rücken freihält, Tommy, auf dessen Rat immer Verlass ist oder unser Kleinster, Marvin, der die Regeln der Stadt kennt wie kein Zweiter. Sie sind die Uni. Balkan, der mit jedem Atemzug in den Kriegen Ruf für uns und unsere Bündnispartner sammelt oder Marco, der einer unserer Größten ist aber im Herzen immer ein kleines Kind geblieben ist und sich selber schon vor Weihnachten Geschenke macht. Auch die Stillen unter uns, Hut und Buddukai, sind immer da wenn man sie braucht, genauso wie Paul, der immer für einen Scherz zu haben ist. Und, last but not least, der gute Speckpanzer und die 3 A´s, Agent Orange, Al Capute und aldiplus.
Schulter an Schulter, jeder so, wie er kann, ob Non oder Casual – wir sind eine Gemeinschaft, wir lachen und wir ärgern uns zusammen, wir sind die University of Chicago. Es mag bessere Gangs in der HoF geben, effizientere oder stärkere Gangs. Aber mein zuhause ist hier.
Mit einem Lächeln stehe ich auf, stelle die Whiskyflasche wieder zurück in den Schrank und stecke meine Pistole ins Holster. Draußen scheint der Regen aufgehört zu haben, hoffentlich bleibt es morgen Abend auch trocken damit wir alle was vom Silvesterfeuerwerk haben. Spaß werden wir so oder so haben. Den schweren Mantel im Arm knipse ich die Lampe aus und verlasse das Büro. Das Büro des Paten. Des Paten der University of Chicago. Mein Lächeln ist zu einem fröhlichen Grinsen geworden.
1921 war mein Jahr.
Hinter mir fällt die Tür ins Schloss…
Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von »Don Olivetti« (30. Dezember 2011, 10:57)